Ich schrieb im letzten Teil, das ich damals doch nicht operiert wurde. Die erste Zeit danach war dann doch ziemlich anstrengend. Nicht so sehr körperlich. Es hatte sich ja nichts geändert. Sondern in Kopf. So hatte ich auch mit einer mentalen Folge der Situation zu tun, mit der ich so nicht gerechnet hatte. Ich musste da anfangs erst mal Wege finden, damit zurecht zu kommen.
Circulus vitiosus
In meinem Wikipedia-Zitat über die Implikationen der Erkenntnisse von Laplace in Bezug auf Aneurysmen (durch das Aneurysma erhöht sich der Druck auf die Aussenwände des Gefässes, was zu einer Aufweitung des Aneurysmas und somit noch mehr Druck führt) war ja schon von einem “circulus vitiosus” die Rede. Meiner Erfahrung nach gibt in Zusammenhang mit dieser Krankheit einen zweiten Teufelskreis. Einen mentalen Teufelskreis.
Du bekommst also die Diagnose Aneurysma. Du lernst, wie wichtig Blutdruckkontrolle ist. Du liest wie sehr Blutdruckspitzen zu Problemen führen können. Und irgendwann lernt Dein Kopf den Zusammenhang „Niedriger Blutdruck sehr gut, normal Blutdruck gut, hoher Blutdruck mies, sehr hoher Blutdruck sehr mies“. Blutdruck ist irgendwie alles.
Daraus entsteht im Hintergrund immer so eine niedrigschwellige Angst. Nein. Angst trifft es nicht richtig. Das ist nicht so eine offensichtliche Angst, in der man schreiend wegrennt. Sondern eher so eine leise Befürchtung, die Spielchen im Kopf treibt. Man fängt an Befürchtungen hinsichtlich hohem Blutdruck zu haben. Man will ja auch Blutdruckspitzen so weit es geht verhindern. Deswegen nimmt man Blutdruckmedikamente. Deswegen lässt man bestimmte Tätigkeiten.
Das Miese ist jetzt der folgende Zusammenhang: Nicht nur Anstrengungen oder Stress erhöhen den Blutdruck. Angst oder die kleine Schwester der Angst, die Befürchtung, können das auch. Jetzt stell Dir mal vor, Du hegst Befürchtungen vor zu hohem Blutdruck, weil Du gelernt hast, das zu hoher Blutdruck böse ist. Richtig. Das ist Circulus-Material.
Befürchtungen und Angst gebären höheren Blutdruck. Höherer Blutdruck gebiert neue Angst. Neue Angst gebiert noch höheren Blutdruck. Und das in einer Situation, in der man eigentlich den Blutdruck eher niedrig lassen sollte. Doofe Situation. Und wenn man nicht aufpasst, kann man sich in eine solche Situation hineinmanövrieren. Man kann es so schaffen, sich wirklich auf einen viel zu hohen Blutdruck hochzubefürchten. Es ist hier wichtig, ein wenig darauf aufzupassen, das man sich nicht in eine solche Situation denkt. Befürchtungsexkursion … wenn man so will.
Es sind halt massive Folgen, die ein Platzen des Aneurysmas haben kann. Da kann man schon mal die eine oder andere Befürchtung haben.
Wie bin ich damit zurecht gekommen? Naja, anfangs mit Hilfe der pharmazeutischen Industrie. Ohne die Hilfe wirklich in Anspruch zu nehmen. Alleine das Wissen, etwas im Badezimmerschrank zu haben, mit dem man den Teufelskreis sicher unterbrechen kann, sorgt schnell dafür, das dieser Kreis durchbrochen wird. Es reicht daran zu denken, das man ja das Mittel hätte. Und die Befürchtungsexkursion bricht in sich selbst zusammen, ohne sonst etwas zu tun.
Später habe ich das nicht mehr benötigt. Der Kopf kreiert das Problem, der Kopf kann es auch wieder beenden. Ab Mitte 2023 habe ich dafür angefangen, mit Entspannungstechniken zu üben. Am Ende half aber am Besten, was ich schon lange gemacht habe, wenn es ein wenig stressig wurde: Kopfhörer auf, Noise Cancellation einschalten, Augen zu, Moment warten, bestimmte Playlist anwerfen, Musik hören. Augen wieder auf. Weiterarbeiten. Das hat tatsächlich bei mir besser funktioniert als andere Entspannungstechniken.
Ich werde diese Technik auch nach meiner OP dauerhaft weiterverwenden, wo das alles nicht mehr ganz so kritisch ist. Weil diese Technik für mich auch eine Hilfe ist, mich zu fokussieren, wenn es gerade aus allen Ecken kommt. 2 Minuten reichen mir da völlig. Es war wirklich erstaunlich, wie gut das bei mir wirkte.
Vielleicht half auch dabei, das ich irgendwann eine gewisse Ruhe bezüglich Blutdruck entwickelte. Ich bin irgendwann zu dem Schluss gekommen, das mich 150/90 mich nicht gleich umbringen werden und ich vielleicht einfach nur mal die Augen schliessen und mich entspannen sollte. Nach einem schwierigen Telefonat, nach einer lebhaft geführten Diskussion. Immerhin waren das Blutdruckgegenden die ich durchaus beim Radfahren mal gesehen habe. Und ich war auch in Jahr 4 und 5 nicht vom Rad gefallen. Naja, doch schon. Aber aus anderen Gründen. So startete der Teufelskreis erst gar nicht. Ich weiss, ist auch nicht gut, weil man dann schlusig bezüglich Blutdruck wird, aber es verhinderte bei mir relativ zuverlässig, das der Blutdruck zu hoch wurde. Und ich habe einen Blutdruck von nordwärts 200 als gefährlicher angesehen als ab und an mal eine solche Messung zu akzeptieren, zumal er meist am Abend schon wieder völlig okay war.
Ich bin nur zwei mal in den 7 Jahren noch mal in Richtung systolisch 200 gekommen. Das eine mal 2019, das andere mal 2023. Beides stand in Verbindung mit sehr emotionalen Situationen. Aber beide Male konnte ich das wieder fangen, auch wenn das zweite Mal einfacher zu kontrollieren war, weil ich eine gewisse Erfahrung damit gesammelt hatte.
Und noch ein Hinweis: Messt nicht zu häufig Blutdruck. Das ist meine persönliche Erfahrung. Zu häufig Messen sorgt auch für zu hohen Blutdruck. Das habe ich am Anfang auch anders gehalten. Weil ich um die Bedeutung des Blutdrucks für das Aneurysma wusste, habe ich viel zu häufig gemessen. Das war so in den ersten Monaten nach der Diagnose. Wenn man alles gerade frisch mitgeteilt bekommen hat, was da so los ist und was passieren kann. Ich habe ein paar Monate nach der Diagnose gebraucht, um das wieder auf einen gesunden Level herunterzudrücken. Ich habe irgendwann morgens und abends gemessen. Und das wars dann. Nicht auch noch zwischendurch, weil das Gerät so nah auf dem Schreibtisch lag. Das halte ich auch nach der OP immer noch so. Alles andere scheint mir “Too much information” zu sein. Im Krankenhaus und in der AHB wurde schliesslich auch nur morgens und abends gemessen.
Blutdruck
Wenn sich vieles gedanklich um Blutdruck dreht, lernt man auch viel über Blutdruck so an sich. Der empfohlene optimale Blutdruck liegt ja mittlerweile bei unter 120/80. Alles andere gilt schon als erhöht. Wobei ich da vielleicht nicht auf dem neusten Stand bin. Bin ja auch Laie. Jetzt haben viele Leute bei diesen Zahlen wieder über Big Pharma geschimpft und „Die wollen doch nur Kranke erzeugen“. Weil das einem so niedrig vorkommt.
Aber zu den 120/80 muss man eine Sache wissen: Sie sind unter optimalen Umständen zu messen. Nicht, nachdem man gerade 3 Stockwerke zum Doc hochgewetzt ist. Nachdem man im Stau stand, keinen Parkplatz bekommen hat und eigentlich schon zu spät ist. Nicht nachdem man sich auf dem Weg zum Doc noch nen 0.75l Eimer Kaffee geholt hat und ehrlicherweise wegen der Schlange beim Bäcker zu spät ist, nicht wegen der Parkplatzsuche.
5 Minuten Ruhe vor dem Messen. Zur Vermeidung von Weisskittelblutdruck (leide ich arg drunter) eigentlich sogar ohne Arzt. Füsse nebeneinander, nicht übereinander. Vernünftig sitzend. Entspannt sitzend. Ohne Druck auf Blase oder Darm. Eigentlich, als würde man unter völliger Entspannung zu Hause den Blutdruck messen. Und dann sollten etwa 120/80 rauskommen.
Und ja … das hört sich nicht so an, als könnte man das wirklich gut in einer Praxis. Ich vermute daher, das Ärzte schon per se etwas abziehen respektive das Blutdruckmessen im Praxisablauf so einplanen, das man etwas Ruhe hat. In der kardiologischen Praxis, zu der ich gehe, wird immer zuerst das EKG gemacht und dann der Blutdruck gemessen. Also etwas Ruhe vor der Blutdruckmessung.
Ich würde ohnehin nahelegen, selber ein Blutdruckmessgerät zu besitzen, damit man mal selber messen kann. Auch wenn ihr kein Aneurysma habt. Gibt es für kleines Geld teilweise sogar zuweilen bei Lebensmitteldealern. So kann man dann wirklich maximal entspannt den Blutdruck zuhause messen und muss sich nicht auf die Zahlen nach dem Sprint ins Wartezimmer verlassen ;)
Wenn ich noch eine Empfehlung ausprechen darf: Es gibt Oberarm und Unterarmgeräte(am Handgelenk zu benutzen) zum Messen des Blutdruck. Beide messen technisch wahrscheinlich genauso präzise. Beim Unterarmgerät kann man nur deutlich mehr falsch machen, während das Oberarmgerät eigentlich schon ganz gut an richtiger Stelle in Relation zum Herz liegt. Ich bin da sehr zufrieden mit dem Omron Evolv. Ist ein Gerät für den Oberarm. Misst während es aufpumpt und nicht wie andere Geräte, das es erstmal aufpumpt und dann ablässt. Die Manschette ist ausrichtungsneutral. Man muss nicht gucken, wo genau der Schlauch und der Arm ist. Ausserdem ist es klein genug, das man es gut mitnehmen kann. Und in die Manschette passen Socken oder ein Krtek. Es hat zudem Bluetooth und alles ist besser mit Bluetooth ;)
Ich habe das Gerät mal bei einem Auslandsaufenthalt in einem Target 2017 nahe San Jose gefunden. Und weil ich eh auf der Suche nach einem Messgerät war, bei dem ich die Zahlen nicht für den Doc aufschreiben muss, sondern das das Mobiltelephon übernehmen lassen kann, habe ich es dann mitgenommen. Und seit dem bin ich dabei geblieben.
Obwohl ich ziemlich rumhampeln musste, um es an mein iPhone zu koppeln, da es die Software für in Amerika gekaufte Geräte nur im US-App Store gab. Mein iPhone hing aber offensichtlicherweise am deutschen App-Store. Warum Bitteschön? Das erzeugt Blutdruck ;) Ich habe das Gerät später durch eine Dämlichkeit zerstört. Es ist nicht wasserdicht. Habe mir dann aber noch mal die deutsche/europäische Version des Geräts gekauft. Ich bin zufrieden mit. Ich verlinke das hier nicht als Affilliate-Link. Such danach einfach beim Elektronikdealer Eures minimalen Misstrauens.
Krtek
Ich schrieb gerade, das man in die Manschette des Blutdruckgeräts einen Krtek stopfen kann. Aber was zum Henker ist ein Krtek???
Das erste Mal danach wieder über Nacht auf Dienstreise zu gehen, hat mich Überwindung gekostet. Sehr viel Überwindung. Zuvor hatte ich es immer geschafft, die Dienstreisen so zu organisieren, das ich nicht übernachten musste. Das liess sich allerdings nicht dauerhaft durchhalten.
Aber ich hatte Hilfe: Ich hatte einen Glücksbringer dabei. Ich weiss gar nicht, ob ich diese Geschichte erzählen soll, ich werde sie hier aber trotzdem mal zum Besten geben. Auch auf die Gefahr hin, das ihr mit einem grossen „Häh? Der Typ ist doch über 50?“ auf den Bildschirm guckt. Das ganze fing eigentlich mit einem Spass an, den ich mir gemacht habe, kurz nachdem Krtek zu mir gekommen war.
| Ich habe 2016 von den Kindern der Schwester meiner damaligen Lebenspartnerin ein Plüschtier geschenkt bekommen. Einen kleinen Krtek. Den | Maulwurf, den hier in Deutschland die meisten Menschen aus der Sendung mit der Maus kennen. Und da ich die Sendung mit der Maus gerne geguckt habe (und die Sachgeschichten immer noch gerne gucke), ist Krtek Teil meiner Vergangenheit. Krtek ist übrigens ein sehr weit gereister Maulwurf. Zum Beispiel hier ein Photo aus 2016 in einem A380 der British Airways Richtung San Francisco. Es gibt auch einige Photos von ihm aus 2017 vor dem Uhrenturm am Oracle Campus in Santa Clara (ich hoffe kein Kollege hat mich damals gesehen, während ich das Photo gemacht habe) |

Und ja, ich weiss … ein Stofftier an allen möglichen Orten der Welt zu hotographieren, ist aus „Die zauberhafte Welt der Amelie“ geklaut. Einem Film, den ich ziemlich mag. Man merkt übrigens, das der Film vor September 2001 (er erschien August 2001) gedreht worden ist. Einen Gartenzwerg würde man wahrscheinlich heute nicht mehr ins Gepäck packen dürfen. Erst recht nicht ins Handgepäck. Aber mit diesen Fotos nahm das Mitnehmen des Maulwurfs seinen Anfang.
Krtek war eigentlich immer in der Innentasche meines Rucksacks. Bis auf zwei Reisen, seit dem ich ihn erhalten habe. Sonst war er immer mit auf jedweder signifikant weiteren Fahrt. Die erste Ausnahme: Jene Dienstreise nach Koblenz. Ich war ohne Rucksack auf dem Weg, sondern nur mit meinem Rollkoffer. Und so war Kreta zu Hause geblieben. Und ihr wisst ja, was da passiert ist.
Ich drehe mittlerweile sogar um, wenn ich merke, das ich ihn vergessen habe. Ich gucke meist, wenn ich in Lüneburg auf der B4 bin, noch mal nach (oder kurz bevor ich auf die A7 gefahren bin, als ich das Jahr in Hamburg gewohnt habe), ob ich ihn wirklich eingepackt habe.
Ich habe ihn danach nur einmal versehentlich wieder zuhause gelassen. Das zweite Vergessen des Maulwurfs habe ich ebenso bereut: Es war eine längere Fahrt 2023. Bei der Fahrt kokelte es in meiner Heckklappe, weil der Schlauch für den Heckwischer undicht war und dieser seinen Inhalt auf die Kennzeichenleuchte träufelte. Erkannt habe ich das erst als an meiner Heckklappe ein völlig trockener Fleck an einem sonst nassem Auto zu sehen war. Zudem wies dieser Fleck noch eine erheblich erhöhte Temperatur auf, als ich das Blech hier anfasste. Es war so heiss, das ich meine Hand zurückziehen musste. Ich war ziemlich schockiert, und das hat man mir auch angemerkt.
Ich hatte noch Wochen später einen Anflug von Kopfschmerzen nach der Fahrt. Die Gase waren sicherlich nicht gesund und am Inneren des Blechs befanden sich Russpuren. Ich bin damals in jener Stadt, in der ich war, zum VW-Händler gefahren. Man konnte nichts anders machen, als die Kennzeichenleuchte aus dem Stecker auszupinnen und mich damit nach Lüneburg zu schicken. Man hatte dort dieses Phänomen auch noch nicht gesehen. Anscheinend gibt es da auch keine Sicherungen. Ich fuhr dann etwa 700 km mit geöffneten Fenstern.
In der Folge nutzte ich danach für geraume Zeit einen Werkstattwagen, weil auch VW dieses Problem ungewöhnlich fand und die Situation untersucht werden musste. Ich hatte erst nach der Fahrt gemerkt, das mein Maulwurf zuhause auf dem Schreibtisch geblieben war. Klar, das auf der Fahrt irgendwas passieren musste.
Er teilt sich mittlerweile den Job mit einem Plüschhamburger, den ich zu meinem fünfzigsten Geburstag geschenkt bekommen habe und einem kleinen Ottifanten, den ich letztes Jahr im Emder Otto-Hus erstanden habe, als ich meine Radtour in jener Stadt begann.
Ich werd älter. Auf mich aufzupassen, ist zunehmend ein 24/7 Job. Um eine 24/7 Abdeckung hinzubekommen, braucht man eigentlich 5 Leute. Drei für die Abdeckung 24/7, eine Person krank, eine Person im Urlaub. Aber Plüschtiere werden weder krank noch haben sie Urlaub. Sie sind einfach da. Deswegen reichen drei. Sie sitzen mittlerweile wieder bei mir oben auf meiner Schreibtischlampe, die ich mir letztes Jahr gekauft habe. Gerade begleitet von einer Plüschtanne. Ist schliesslich bald Weihnachten. Eine Plüschtanne nadelt weniger als eine echte Tanne. Und ich hasse Kunsttannen.
Ich habe auch bei der Operation in 2025, von der ich noch berichten werde, Unterstützung dabei gehabt: Ich dachte, die OP rechtfertigt höheren Personaleinsatz. Also hatten Hamburger und Maulwurf Dienst im Krankenhaus. Der Ottifant passte auf die Lampe und meinen Schreibtisch auf. Den Ottifanten habe ich erst letztes Jahr gekauft. Er war sozusagen noch in Glücksbringerausbildung. Da wollte ich nicht gleich mit der OP anfangen.
Mal im Ernst: Aus irgendeinem Grund (Ich kenne ihn, aber ich behalte ihn für mich. Sorry.) sind es bei mir kleine Plüschtiere geworden, aber ich kenne viele Leute, die Gegenstände haben, die eine sehr grosse Bedeutung für sie besitzen und sie bei besonderen Situation dabei haben. Eine entfernte Bekannte erzählte mir mal, das sie den Füller ihrer Grossmutter bei jedem wichtigen beruflichen Termin mitnimmt. Sie benutzt ihn nicht. Sie hat ihn nur dabei.
Okay, Füller klingt jetzt etwas distinguierter als ein Stoffmaulwurf. Aber hier bin ich auch der Meinung: Whatever floats your boat. Diese Gegenstände sind Artefakte, die einen mit wichtigen Punkten in der eigenen Biographie verbinden, die einen mit dem eigenen Leben verbinden. Wir nennen sie Talisman, aber eigentlich sind es Ankerpunkte, die einen an das Gute und das Schöne im Leben erinnern. Sie bringen sicherlich kein Glück. Sie bringen Erinnerung. Und das hilft in vielen Situationen. Auch wenn es nur ein Lächeln ist, die sie hervorzaubern. Es ist nicht der Maulwurf oder der Hamburger. Es ist der Gedanke daran, was man damit verbindet, wie man ihn erhalten hat. Dahinter stecken immer Verbindungen zu anderen Menschen, Verbindungen zu Momenten, besseren Zeiten. Und die helfen, wenn man gerade in einem Krankenhaus liegt, wenn … ja … wenn Kabel und Schläuche aus einem rausgucken.
Es ist auch gleichzeitig ein Ritual. Alles ist vorbereitet. Nur noch den Maulwurf einpacken. Jetzt geht es los. Egal, was passiert, man ist drauf vorbereitet. Weil man sogar an den Maulwurf gedacht hat. Auch wenn man manchmal trotzdem vergisst, die Duschgelflasche richtig zu verschliessen. Ich bin echt dankbar für die Erfindung des ZIP-Beutels. Fragt nicht, woher ich das weiss.
Ich weiss natürlich auch, das es purer Zufall ist, das dieser Mist ausgerechnet bei den Fahrten passiert ist, wo der Maulwurf vergessen wurde und nicht mitgefahren ist. Wahrscheinlich erinnere ich mich auch einfach nicht mehr an den Mist, der auf anderen Fahrten passiert ist. Wobei in Koblenz im Krankenhaus landen und eine angekokelte Heckklappe sich schon deutlich vom normalen Mist herausheben, so das ich von der Wirkung von Krtek überzeugt bin.
Warum ich überhaupt davon schreibe, obwohl das zugegebenermassen etwas merkwürdig klingen mag für jemanden meines Alters? Ich musste kuerzlich im Krankenhaus auf eine Nachuntersuchung warten. Eine ältere Dame wurde an mir vorbei gefahren. Mit einem Stofftier, das am oberen Ende des Betts lag. Ich vermute von einem Enkel mitgegeben. So unüblich scheint das also nicht zu sein.
Sport
Meine OP war also abgesagt, aber eben nur aufgeschoben. Das hatte mir der Arzt im Albertinenkrankenhaus auch sehr deutlich zu verstehen gegeben. Das Problem war nicht aus der Welt.
Als ich wieder zuhause war, fasste ich einen Entschluss: Ich wollte den Tag, an dem ich wieder vor all den Sorgen hinsichtlich der Operation stehen würde, so weit wie möglich in die Zukunft schieben. Den OP-Termin verzögern. Ich wollte, das alles so bleibt wie es ist. Also fit werden, Blutdruck so weit wie möglich senken.
Im April 2019 hatte ich eine Diskussion mit meinem Kardiologen zum Thema Sport. Mein Abnehmen, das ich nach der Diagnose im Dezember 2018 startete, stagnierte. Und ich war mir sicher, das weitere Erfolge sich nur mit einem bewegten Hintern einstellen würden. Ich fing mit Radfahren an. Später sogar mit Laufen.
Bis 2022 habe ich richtig viel Sport getrieben. Ich bin sehr lange Strecken mit dem Fahrrad gefahren. In einem Jahr 20000 km. Das war bisher die längste Strecke, die ich in einem Jahr hinter mich gebracht habe. Ich lief in 2020 richtig viel.
Und dass ist mein Weg, den ich als den dritten Weg zwischen OP und Schonung bezeichnet habe, gewesen. Ich habe etwas gemacht, das eigentlich so gar nicht zu der Krankheit passte. Ich suchte mir gezielt Sport aus, der nicht in dem Ruf steht, das Aneurysma zu zu belasten. Bin immer im aeroben Bereich gefahren. Habe während der Fahrten zuhause (ich habe einen Indoortrainer) regelmässig den Blutdruck gemessen. Das führte letztlich zusammen mit weniger Essen zu einer starken Reduzierung des Gewichts und einer Zeit, in der ich mich wirklich wohl in meiner Haut gefühlt habe, obwohl ich wusste das unter der Haut mein Problem war.
Ich wurde von Kollegen lachend angeguckt, als ich plötzlich davon sprach, das man in der Nähe eines bestimmten Hotels in Köln sehr gut laufen könnte. Ausgerechnet von mir. Ich war beruflich einige Male in der Zeit in Köln und hatte da diese Erfahrung gesammelt. Vom Hotel über die Severinsbrücke, den Rhein runter, über die Hohenzollern Brücke wieder auf die andere Seite, den Rhein hoch und dann zurück zum Hotel. Keine besondere Strecke.
Nur war halt das ein Kommentar von jemanden, der eigentlich nicht im Verdacht stand, sich viel sportlich zu bewegen. Und das war für manche Leute der Witz an sich. Ich war trotz des Aneurysmas in der Form meines Lebens gewesen in der Zeit. 160 km Radfahren. 21 km Laufen. Leider zaehlt in der Badewanne plantschen nicht als Schwimmen. Sonst hätte wäre das Triathlon gewesen. Das ganze ging aber irgendwann bergab, als ich mir in in einem nahegelegen Wald in einem Schlagloch den Knöchel angebrochen hatte. Seit dem lief nichts mehr so richtig rund.
Meine Idee war damals, das wenn ich schon auf den Tisch musste, das ich das in der bestmöglichen Form tun möchte. Leider ist davon wenig übrig geblieben. Gab es viele Gründe für. So bin ich dann mit einer „so naja“-Form dieses Jahr in die OP gegangen. Hat trotzdem geklappt, wie man daran sieht, das ich diesen Text schreibe. Ich sitze mittlerweile wieder auf meinem Indoor-Rad und merken schon das die Beine wieder wollen.
Absehbar
Der Durchmesser des Aneurysmas änderte sich für einige Zeit nicht signifikant. Alles im Rahmen der Messungenauigkeit. Ich dachte wirklich, das das so bleibt. Ich bereitete mich gedanklich schon auf eine Operation nach meiner Verrentung vor, auch wenn ich nicht wirklich dachte, das das realistisch war. Es war mal nen Millimeter mehr, mal nen Millimeter weniger. Und auch wenn ich mich so stark belastete mit dem Radfahren, so schien das keine Auswirkungen auf den Durchmesser des Aneurysmas zu haben. Ich hatte eine Hoffnung, das es für sehr lange Zeit so bleiben würde.
Aber wann immer man Hoffnung hat, die eigentlich unrealistisch ist, gibt es auch den Punkt, an dem diese Hoffnung zerstört wird. Wenn die Welt sagt: „Jo, schöner Gedanke, aber nee“. Und einem den Mittelfinger zeigt.
Ich glaube es war im Oktober/November 2022, als mir sehr deutlich bewusst gemacht wurde, das es nicht so bleiben würde. Die Werte in den Ultraschallkontrollen fingen an zu steigen. Jetzt nicht mit gewaltigen Schritten. Aber sie stiegen. Etwas mehr, als das man diesen Anstieg für Messungenauigkeiten halten könnte. Meine Hoffnung, das ich das ich die Schwelle zur OP vielleicht erst in in 20-30 Jahren erreichen würde, war damit erledigt. In diesem Moment änderte sich viel. Aus irgendwann mal wurde absehbar. Meine Hoffnung, das ich eine nur besonders grosse Normvariante der Aorta habe, die schon immer in mir war, wurde zerstört.
Stattdessen wurde diese durch die nicht mehr abzuweisende Erkenntnis ersetzt, das da ein pathologischer Prozess im Gange war, der vermutlich noch Geschwindigkeit aufnehmen würde und mich zwangsläufig auf den OP-Tisch bringen würde. Ernsthafterweise wäre auch eine 48mm Normvariante nicht wirklich gut gewesen. Aber „Es wächst!“ war noch mal eine ganz andere Aussage.
Das hat mir damals Illusion und anschliessend die Beine ein wenig weggerissen. Ich habe das damals versucht gut zu verstecken. Ich hab e eine Weile gebraucht, bis ich mein inneres Gleichgewicht wieder hergestellt hatte. Bis dahin war ich mehr oder weniger wie 2018 schon wieder ein Korken im Strudel meiner Gedanken.
Ich weiss natürlich, das das mit der Normvariante eine Illusion war. Etwas mit dem ich mich beruhigt habe. Auf jeden Fall war das aus heutiger Perspektive so. Aber man sucht sich auch immer Wege, mit einer Situation klar zu kommen, die nicht ganz einfach war. An 2023 habe ich bis heute zu kauen. Viel ist in jenem Jahr passiert. Ich würde nicht von einem „annus horribilis“ sprechen. Dazu geht das alles noch viel schlechter, wie ich beobachten durfte. Aber es war schon sehr problematisch. Ich will aber nicht zu sehr meckern, 2023 war nicht nur schlecht: Beruflich war 2023 die Zeit meines bisher grössten Erfolgs. Wahrscheinlich weil ich mich damit abgelenkt habe und mich mit Verve in das Projekt geworfen habe. Weil ich mich auf das Projekt fokussiert habe. Ein Projekt auf das ich stolz bin.
Ich habe mich seitdem mit peinlich genauer Blutdruckkontrolle beschäftigt. Ich fand für mich einen Weg, wie ich Situationen umgehen kann, die den Blutdruck in die Höhe schiessen lassen. Das sie eben nicht eskalieren. Ich kaufte mir sogar später ein eBike, um die Belastung auch da noch besser zu kontrollieren. So fit wie nach 2018 und vor 2022/2023 bin ich aber nicht mehr geworden. Ich hoffe aber, das ich da wieder hinkomme.
Ich war mit meinem Versuch, den Fortschritt des Aneurysmas aufzuhalten, in einem gewissen Rahmen durchaus erfolgreich: Es hat von da noch etwas über zweieinhalb Jahre gedauert, bis ich die Schwelle erreicht habe, die die Operation unausweichlich machte.
Ich weiss nicht genau, warum es in 2025 dann relativ schnell ging. Es muss irgendwann im Frühjahr passiert sein. Ich machte einen ordentlichen Sprung von der vorletzten bis zur letzten Messung in Richtung OP. Ich habe eine Ahnung, wann es passiert ist. Wann sich die Aorta noch mal so richtig geweitet hat. Es ist so ein Gefühl. Ich kann mich sehr genau an die Situation erinnern, als der Blutdruck noch mal richtig in die Höhe schoss. Und ich bedanke mich bei den anwesenden Personen. Not. Aber auch dieser Zusammenhang kann reiner Zufall gewesen sein.
Im achten Teil dieses Artikel (der mittlerweile aus 41474 Worten besteht. In dem Moment wo ich das erste mal 41474 schreibe, beim zweiten 41474 bin ich schon bei 44883 Worten) wird es dann ernst. Es ist 2025 und die Operation steht unmittelbar bevor.