Vorwort
(Dies ist Teil 1 von vermutlich 13 Teilen)
Dieser Text ist sehr persönlich. Er erzählt von einem Weg, der am 26. November 2018 begann. Dieser Tag liegt nun etwas mehr als 7 Jahre in der Vergangenheit, hat aber in diesen Jahren mein Leben stark bestimmt. Ursprünglich wollte ich diesen Text am 26. November 2025 veröffentlichen. Aber leider hat es nicht ganz geklappt. Ich wurde und wurde einfach nicht fertig. Hier eine Aussage, die mir noch fehlte. Da ein Punkt, der mir dann doch zu privat erschien. Der Text ist jetzt aber fertig, auch wenn ich vermutlich in den nächsten 12 Tagen noch jeden Morgen vor Veröffentlichung am entsprechenden Teil arbeiten werde.
An anderer Stelle zu viel geschrieben, so das Rückschlüsse auf den Weg anderer Menschen möglich gewesen wären. Diese Menschen werden wahrscheinlich immer noch den Schnittpunkt erkennen, an denen sich die Wege gekreuzt haben. Ich hoffe allerdings, das ich jedwede Identifizierbarkeit entfernt habe. Ich schreibe über meinen Weg. Den Weg anderer Menschen offenzulegen - und sei es auch nur für eine kurze Strecke - obliegt nicht mir. Wenn jemand, der meinen Weg begleitet hat, eine Diskussion wiedererkannt, so kann sie oder er sich sicher sein, das ich lange darüber nachgedacht habe und das das Thema sehr wichtig für mich ist und mich lange begleitet hat.
Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Beitrag veröffentlichen soll. Es fühlt sich irgendwie an, als würde ich Dinge, die nicht in die Öffentlichkeit gehören, eben in jenes Licht der Öffentlichkeit bringen. Und genau genommen stimmt ja auch irgendwie. Ich verstehe diesen Standpunkt.
Worüber man diskutieren kann, ist die Frage, ob sie in die Öffentlichkeit gehören? Ich weiss es nicht. Ich habe mit Leuten über diesen Text gesprochen. Jemand meinte sogar, ich würde mich damit in einer unbestimmten Zukunft angreifbar machen. Denn das Netz vergisst nichts. Ever.
Auf der anderen Seite: Es gibt einige Leute, die ihre Erfahrungen mit einer solchen Situation in Bücher gekippt haben. Ich habe eines davon gelesen. So völlig daneben scheint es also nicht zu sein, über dieses Thema zu sprechen. Ein Buch will ich nicht schreiben, aber ich habe mit meinem Blog einen anderen Weg dies zu veröffentlichen.
Über Geld und Krankheiten spricht man halt nicht gerne. Außer vielleicht mit der Familie oder engsten Freunden. Es gibt den Standpunkt, dass man sich mit solchen Texten dem Voyeurismus anderer öffne und dadurch Schwäche zeige. So sehr ich auch diese Meinung verstehe, teile ich sie nicht.
Schwäche
Schwäche? Das ist ein interessantes Thema. Wir neigen dazu, eine Fassade der Unverwundbarkeit und Unbesiegbarkeit aufrechtzuerhalten. Als gäbe es keine Kämpfe, die wir nicht gewinnen könnten. Möglicherweise braucht der Mensch diese Lebenslüge nach aussen. Warum auch immer. Verletzlich zeigen sich wenige Menschen. Verletzt zeigen sich noch weniger Menschen. Insbesondere bei Männern scheint dies ein Problem zu sein.
Wir sprechen nicht über die Kämpfe, die wir hinter verschlossenen Türen führen. In unserer heutigen Gesellschaft werden Stärke und Perfektion verehrt. Nach aussen erscheint ein Leben perfekt. Nach aussen sieht es nach Stärke aus, die man projiziert. Vielleicht ist dies jedoch ein Fehler. Ich glaube, hinter jeder verschlossenen Tür und jedem Menschen, dem wir begegnen, finden unzählige tagtägliche Kämpfe mit den Herausforderungen des Lebens statt. Kämpfe, die wir nicht sehen, aber die Menschen belasten. Brüche in der Perfektion, Schwächen in der Fassade der Stärke.
Wenn man aber nicht darüber spricht, entsteht leicht die Illusion, dass alle anderen Menschen keine Probleme in ihrem Leben haben. Bei anderen sieht alles so leicht aus. Das sie keine Schwächen besitzen. Und keine Kämpfe ausfechten müssen. Mir kommt das zumindestens manchmal so vor.
Man glaubt dann, dass man selbst das Problem ist, weil man seine eigenen Kämpfe kennt. Die Probleme anderer Menschen hinter ihren Türen sieht man nicht und fängt an zu glauben, es gäbe sie nicht. Oder nicht so wie bei einem selbst. Da einem die eigenen Probleme einfach näher sind, erscheinen diese ja auch übermässig gross. Objects in the rear view mirrors appear closer than they are. Und Türme, die neben einem stehen, erscheinen riesengross und erdrückend, während sie in der Ferne Wegmarken sind, an denen man sich durchs Leben orientiert.
Doch sitzt man hier einem Irrglauben auf. Jeder hat ihr oder ihm eigene Probleme, Herausforderung und Kämpfe. Manche Themen gleichen sich bei vielen Menschen, andere sind etwas seltener. Ich würde aber behaupten, das bei 8 Milliarden Menschen es mindestens einen Menschen gibt, der die gleichen Probleme hat. Vielleicht mit anderen Namen, vielleicht an anderen Orten. Aber ansonsten erstaunlich ähnlich.
Zudem sind es nicht wir, die uns dieses Veneer von Stärke und Perfektion geben. Die meisten von uns sind sich ihrer Schwächen und Probleme nur zu bewusst. Es ist es eine Projektion von aussen. Vielleicht weil wir in anderen Menschen das sehen möchten, das wir in uns selbst nicht sehen.
Ich bin doch selbst der Aufrechterhaltung dieser Illusion schuldig. Zu oft habe ich „Gut“ auf die Frage, wie es mir gehen würde, geantwortet, auch wenn es mir nicht gut ging in den letzten 7 Jahren, weil die Gedanken anderswo waren. Bei der Krankheit, bei Sorgen, bei allem möglichen. Schon weil das Ausdrücken eines Gedanken in der Situation unpassend erschien, wenn man dann doch von den Sorgen anderer Menschen wusste.
Warum sollte man auch darüber sprechen? Die Menschen haben ihre eigenen Probleme, die sie lösen müssen. Das Befassen mit anderer Leute Herausforderung nimmt Energie, Gedanken und Zeit in Anspruch, die viele Menschen einfach nicht mehr haben. Man kann das von niemanden verlangen. Andere Menschen sind nicht der seelische Mülleimer für die Vielfalt der Sorgen, die man mit sich trägt, nicht der Therapeut zur Bewältigung der Herausforderungen, vor denen man steht.
Ich werde hier über eines meiner Probleme schreiben. Ich schreibe hier nicht, in der Hoffnung Rat zu finden. Bestätigung zu finden. Ich bin was mein Problem angeht, am vorläufigen Ende der Reise. Ich habe eine Lösung gefunden. Und der Punkt, das ich hier noch schreiben kann, sagt mir, das die Lösung mit Sicherheit nicht perfekt war, aber doch einigermassen okay. Ich habe also die Stromschnellen schon navigiert.
Ich schreibe es in der Hoffnung, das es jemand liest, dessen Problem so ähnlich ist. So das sie oder er einen Nutzen daraus ziehen kann, die Zeit für das Lesen dieses Textes investiert zu haben. Denn irgendwo unter den 8 Milliarden Menschen muss es jemanden geben, der vor den gleichen Herausforderungen stand oder steht.
Also: Ich werde in diesem Artikel über eine Krankheit und meinem Umgang damit schreiben. Wenn jemand eine Schwäche daraus konstruiert, das ich so offen über dieses Thema spreche, dann kann ich nur sagen: So sei es! Oder wie die Ärzte so gut sangen „Lasse redn“.
Kampf
Apropos Kampf: Ich habe gelernt, das es bei vielen Menschen verpönt ist, beim Leben mit Krankheiten von Kampf zu reden. Leider wird man mit zunehmenden Alter damit immer häufiger konfrontiert, das irgendwo in der Verwandtschaft oder im Freundeskreis, im Kollegen- oder Bekanntenkreis plötzlich sehr schlechte Nachrichten übermittelt werden. „Ich wünsche Dir alles Gute und viel Kraft in diesem Kampf gegen diese Krankheit“. Das ist ein Satz der einem in Situationen, in denen man mit jemanden über eine Krankheit spricht, leicht von der Zunge geht in Ermangelung anderer Worte, die erst im Kopf entstehen müssen.
Diese Worte werden teilweise nicht gern gehört oder gelesen. Denn dies würde implizieren, man hätte nur nicht genug gekämpft, wenn man den Kampf am Ende den Kampf verliert. Und damit würde man quasi den Kranken in eine Ecke der Schwäche stellen. Ich habe diese Interpretation in den vergangenen Jahren mehrfach gehört, wenn ein wohlmeinendes Wort nicht so gut angekommen ist.
Folgen kann ich ich dieser Interpretation nicht. Ich denke, man kann den Begriff aus anderen Gesichtspunkten nicht mögen, da er aus einer Militarisierung der Sprache kommt „kämpfen“, „in Angriff nehmen“. Aber damit ist man schon beim Punkt, warum ich der Interpretation, man würde damit Schwäche implizieren, nicht folge.
Dazu reicht es, das Wort auf seine gewalttätige, militaristische Bedeutung zu reduzieren. Die Geschichte ist voll von verlorenen Kämpfen, bei denen der Unterlegene nicht einmal ansatzweise im Verdacht steht, nicht genügend gekämpft zu haben. Dem Vorwurf aufgesetzt, schwach gewesen zu sein. Bei der Schlacht an den Thermopylen hatten die Griechen von vornherein kaum keine Chance. Trotzdem ist diese Schlacht Teil des mythologischen Gebäudes der europäischen Zivilisation geworden.
Manchmal liegt der Erfolg eines Kampfes nicht im Gewinnen, sondern in der Verzögerung des Unvermeidlichen. Den Gegner so lange aufhalten, bis Athen geräumt worden ist. Manchmal ist das Ziel nicht Gewinnen, sondern eben Zeit.
Ich sehe das recht ähnlich bei Krankheiten. Den Kampf zu verlieren, ist kein Zeichen von Schwäche. Es zeigt nur, das die Krankheit übermächtig war. Den Kampf zu gewinnen ist kein Zeichen von Stärke, die einen von den Leuten, die eine Krankheit nicht überleben, hervorheben würde.
Mit einer Krankheit zu sterben braucht aus meiner Sicht noch mehr Mut, noch mehr Stärke, als mit ihr zu leben. Denn mit einer Krankheit zu leben bedeutet mir ihr zu leben. Mit einer Krankheit zu sterben, bedeutet eben nicht mehr zu leben. Klingt offensichtlich, ist offensichtlich. Das das Leben ein Ende hat, ist eine der grossen Gewissheiten des Lebens, aber auch die grösste Angst. Und die Konfrontation mit dieser Angst ist etwas das genauso Mut braucht, wie das Durchstehen einer Behandlung.
Zu oft entscheidet das Glück (ich mag den Begriff nicht), das frühe Erkennen, der Zufall darüber, ob man gegen eine Krankheit eine Chance hat. Der Zufall den richtigen Arzt gefunden zu haben. Der Zufall, das eine Krankheit kurz vor dem letzten Vorsorgetermin entsteht wurde, und nicht kurz danach, so das eine Krankheit viel Anlauf hat, ihre Zerstörung über uns zu bringen. Das ein Arzt erkennt, das es vielleicht doch ein Zebra ist, vor dem sie oder er steht.
Man erkennt unglaubliche Stärke in Menschen, die eben keine Chance haben und damit zurecht zu kommen. Alleine den Moment auszuhalten, in dem man dies gesagt bekommt und dabei nicht zusammenzubrechen, erscheint mir ein Zeichen der Stärke. Oder eine Diagnose, von der selbst der Laie weiss, das man sich vielleicht so langsam gedanklich damit befassen sollte, das das Licht für einen selbst irgendwann verlöschen wird und dieser Moment nicht mehr all zu fern ist.
Ich hoffe, wenn für mich irgendwann diese Nachricht anstehen sollte, ich nur Ansatzweise diese Stärke haben werde, die ich bei anderen Menschen beobachten durfte. Aber vielleicht habe ich auch dort einfach nicht den Moment des Zusammenbruchs gesehen. Weil man nicht drüber spricht.
Wir werden alle älter und ich hege die Vermutung, das nicht allen ein Tod wie meiner Oma gegönnt sei, die friedlich eingeschlafen ist. Wohlstandskrankheiten, Krebs und andere Krankheiten werden uns aus dem Leben reissen, lange bevor uns die Kraftlosigkeit am Ende eines langen Lebens unserem Dasein ein Ende setzt. Diese Nachricht wird also vermutlich vielen von uns bevorstehen. Diese Einschätzung ist pessimistisch. Sicher. Aber ich glaube realistisch.
Ich würde diesen Kampf gegen eine Krankheit so lange führen, so lange er noch möglich, sinnvoll und vor allen Dingen menschenwürdig ist. Aber jede andere Herangehensweise ist genauso legitim: Den Kampf um die Stunden ausfechten bis zum letzten Atemzug genau wie das Ende zu suchen, so lange einen die Krankheit noch nicht vollständig ins Leiden geworfen hat, so lange das Leben gut ist.
Jeder dieser Wege ist weder ein Zeichen von Stärke noch von Schwäche. Sondern Konsequenz der ganz persönlichen Entscheidung, wie man diesen letzten Weg am Ende geht und der Chancen und Optionen, die einem die Krankheit lässt. Um jenen Weg zu gehen, den man immer alleine gehen muss.
Leider finden Krankheiten auch beim momentanen Entwicklungstand der Medizin allzu häufig den Anopaiapfad, der den Kampf mit der Krankheit nicht mehr gewinnbar werden lässt. Das ist untrennbar verbundener Teil des Lebens, das bei all seiner Schönheit eben leider auch diese Momente bietet.
Ich durfte in meiner Vergangenheit einige dieser Kämpfe beobachten, die nicht positiv ausgingen. Leider. Und keiner dieser Menschen ist in meinen Gedanken schwach gewesen oder hat nicht genügend gekämpft. Nicht eine. Nicht einer.
Manchmal kann man den Kampf gegen eine Krankheit einfach nicht gewinnen. Man kann das Ende nur heraus zögern. Um seiner selbst willen, um mehr Zeit zu haben. Aber auch um anderer Menschen willen: Um noch etwas länger für sie da zu sein. Um zu beobachten, wie Menschen sich entwickeln um sie bei dieser Entwicklung zu begleiten. Um zu sehen, das sie auf einem guten Weg sind, auch wenn man selbst den Weg nicht mit ihnen bis zum Ende gehen kann.
Good night
Es gibt das Gedicht von Dylan Thomas, das denke ich durch Interstellar ins Bewusstsein von Millionen von Leuten gebracht worden ist. Ich kannte es vor Interstellar nicht. Aber ich mag es. Weil es mich berührt. Weil es die Gedanken um die Sterblichkeit meiner Eltern so zielsicher zusammenfasst.
Das Gedicht scheint vielen Menschen aus der Seele zu sprechen, so häufig wie Menschen es zitieren, wenn das Ende eines geliebten Menschen naht:
Do not go gentle into that good night,
Old age should burn and rave at close of day;
Rage, rage against the dying of the light.
Ich habe diese Zeilen immer als einen Aufruf verstanden, gegen die Nacht zu kämpfen, das Licht so lange wie möglich hoch- und die Dunkelheit fernzuhalten. Sich nicht freundlich dem Schicksal ergeben, sondern sich dagegen auflehnen.
Vielleicht deswegen mag ich mir das Wort „kämpfen“ in Bezug auf Krankheiten auch nicht nehmen lassen, wenn ich vom Leben mit einer Krankheit als Kampf gegen diese spreche.
Das Sterben des Lichts ist am Ende unvermeidlich. Den Kampf mit dem Leben verliert man am Ende zwangsläufig. Ausser in der Kunst und Religion (wobei ich Religion in all ihrer Vielfalt von Ausdrucksformen in Teilen für eine Art Kunst zur Unterstützung eines Machtanspruches halte) hat noch nie jemand diesen Kampf gewonnen. Damit müssen wir uns abfinden. Und am Ende wenn die Lichter verblassen wohl gekämpft haben.
Ich hatte Glück
Ich habe mich mit dem Gedanken von eben in eine Ecke geschrieben, in die ich eigentlich - noch - nicht wollte. Es war einer der letzten Abschnitte, die ich geschrieben habe, auch wenn der Teil fast ganz am Anfang steht. Wenn ihr das Coda am Ende des Textes (in Teil 13) lesen werdet, werdet ihr allerdings verstehen, wie ich in diese gedankliche Ecke geraten bin. Woher diese Gedanken kommen.
Zurück zu dem, wo ich eigentlich hin wollte. Mein Kampf der letzten sieben Jahre war etwas einfacher. Anstrengend, aber niemals aussichtslos. Ich hatte Glück: Ich bin dankbar dafür, das sich meine Krankheit, von der ich heute schreibe, mir eine Chance liess. Das das medizinische Vorgehen nicht nur ein Verzögern des Unvermeidlichen war. Mein Problem war in einem gewissen Rahmen lösbar. Auch wenn die Lösung unübersehbare und nicht zu leugnende Risiken barg.
Meine Krankheit war keine kaum verstandene Autoimmunerkrankung. Meine Krankheit war kein ausser Kontrolle geratene Zellanhäufung, die sich anschickte, den Rest von mir zu töten. Meine Krankheit ist auch keine mir dauernd Schmerzen bereitende Fehlentwicklung oder Abnutzung in meinem Körper.
Meine Krankheit war eine Art mechanisches Problem. Und mechanische Probleme vermag die heutige Medizin ganz gut anzugehen. Zumindest manche von ihnen. Zudem war bei mir die Krankheit bis zur Operation fast ohne Symptome. Fast … denn ein Symptom gab es: Stets vorhandene Angst. Angst, die einen verändert, weil sie vielleicht nicht offensichtlich ist, aber eben ein dauernder Begleiter ist. Ein Eimer Wasser verschüttet vermag einem Stein nicht viel anzuhaben, aber steter Tropfen höhlt ihn.
Welche Krankheit ich habe, wird im weiteren Text offengelegt. Wer einfach nur wissen will, was ich hatte und nicht abwarten will, wie ich mich in meinem Text zu dieser „Enthüllung“ wusel, kurz in spoilervermeidender Kurzform: ICD I71.2. Und zwar G. Ich hoffe aber, das ihr bei mir bleibt, weiterlest und nicht nachguckt, um was es sich handelt. Würde mich freuen.
Vergangenheit
Ich habe mich am Ende dafür entschieden, diesen Text zu veröffentlichen, weil die Krankheit nun Teil meiner Vergangenheit ist. Ich habe es ganz gut bisher überstanden. Ich klopfe gerade drei Mal auf Holz.
Es ist einfacher über etwas zu schreiben, das in der Vergangenheit liegt. Das einen nicht behindert. Nicht zurückhält. Kein relevantes Hindernis mehr für die Zukunft ist. Es lies sich beseitigen. Es wurde beseitigt. Nur in Zukunft ein bisschen mehr Sorge um mich selbst fordert. Ein um mich selbst kümmern, das ohnehin angebracht wäre.
Aber auch, weil diese Krankheit nicht mit einem echten oder gefühlten Stigma belastet ist, das es schwer macht, darüber zu reden.
Öffentlich
Warum stelle ich diesen Text in die Öffentlichkeit? Warum lasse ich die Hose hier so runter? Gute Frage. Um vieles von meiner eigenen Seele zu bekommen. Verarbeiten heisst für mich in der Hauptsache schreiben. Das war schon immer so. Ich bin ein Von-der-Seele-Schreiber. Der Text wäre dann also eine Art Bewältigungsexibitionismus. Aber das ist es nicht. Ich habe keine exibitionistische Ader. Nur auf dieser Basis würde ich den Text nicht in mein Blog stellen.
Es gibt eine zweite längere (ja, noch längere) verschlüsselte Version dieses Textes, die ich nicht veröffentlichen werde, in der sich alle Details (selbst wenn sie noch so langweilig sind) befinden, damit diese Aufzeichnungen mich an diese 6 Wochen im Herbst 2025 erinnern, wenn ich selbst es nicht mehr vermag. Eine Art Tagebuch. Denn auch dieser Weg des Verlustes von Erinnerungen ist unvermeidlicher Teil des Lebens. Ich muss nur zusehen, das ich mich dann an die Passphrase erinnere. Dieser veröffentlichte Text ist also auch niedergeschriebene Erinnerung, für die ich später keine Passphrase brauche. Ein Hirn-Backup sozusagen.
Ich hätte den Text genauso gut wirklich nur in ein Tagebuch schreiben können und dann irgendwo wohl verschlossen lagern können. Warum habe ich das nicht getan? Zum einen, weil ich Tagebücher nicht mag. Ich mag Papier. Ich mag Füllfederhalter. Ich mag es beschreiben, weil dies mich mehr mit dem Text verbindet als das Leuchten des Bildschirms. Aber Papier verschlüsselt nicht.
In der Hauptsache schreibe ich aber öffentlich, weil ein Verschliessen dieses Textes die eigentlich für mich wichtigere Idee - die zweite Idee - hinter diesem Text ad absurdum geführt. Denn diese bedarf eben der Öffentlichkeit.
Ich bin in Foren unterwegs, ich habe mit Leuten in der Anschlussheilbehandlung gesprochen. Was mir auffiel, war das die Sorgen und Gedanken eigentlich immer ähnlich waren. Und oft gibt es nur wenige Antworten von Menschen, die das schon durchgemacht haben. Antworten, an denen man sich durch eine schwierige Zeit hangeln kann.
Dieser Text ist letztlich ein Bericht, wie ich mit dieser Situation umgegangen bin. Wie ich mit Diagnose und OP umgegangen bin. Mit einer Inkontextsetzung, da die persönliche Reaktion auf solche Situationen auch immer mit der eigenen Vergangenheit zusammenhängt.
Es ist ein Text, dessen Ziel es auch ist zu beschreiben, wie ich mit der Zeit zwischen Diagnose und OP umgegangen bin. Ein Zeitraum, der bei mir mehrere Jahre umfasste. Wie ich mit den Nächten nach der OP umgegangen bin. Und das am Ende zumindest bei mir alles so irgendwie ganz okay sich auszugehen scheint.
Das ist wahrscheinlich für die Leserin oder den Leser, die oder der selbst vor dieser Situation steht, wahrscheinlich auch schon an sich eine wertvolle Information.
Denn das ist eine der Sorgen, die man vor der OP hat: Wird es irgendwie danach in Ordnung sein? Es ist eine der grossen Sorgen, die man nach der OP hat und nicht weiss, was normal ist. Ob die Hürden, auf die man trifft, irgendwie zum Weg passen.
Ich kann für mich sagen „Es ging sich okay aus!“. Trotz aller Hindernisse. Trotz einer langen Vorgeschichte.
Und: Ich habe mich bei der Vorbereitung auf meine sechswöchige Reise im Herbst 2025 intensiv mit Foren und Online-Texten auseinandergesetzt. Diese Ressourcen waren unglaublich hilfreich für mich, und ich möchte mich revanchieren, indem ich meine eigenen Erkenntnisse und Erfahrungen hier teile. Ich will einen weiteren anekdotischen Datenpunkt liefern.
Mein Text erhebt keinen Anspruch auf Korrektheit. Ich werde wahrscheinlich vieles aus der Zeit bereits verdrängt haben, so das auch Vollständigkeit wahrscheinlich keine Eigenschaft dieses Textes ist. An vieles kann ich mich auch nicht erinnern. Aber das was hier steht, sind meine Erinnerungen an diese Zeit. Was ich für wichtig hielt. Was ich für veröffentlichbar hielt.
Mein Text beschreibt auch den Zustand etwa zwei bis zweieinhalb Monate nach der OP. Ich weiss nicht was in der Zukunft liegt. Es mag Wendungen geben, die das alles noch drehen. Aber ich vermag diese momentan noch nicht zu erkennen. Ich erlaube mir hier einen für mich etwas untypischen gewissen Optimismus.
Vielleicht hilft es ja dem einen oder anderen, das ich hier in meinem eigenen Blog „die Hosen runterlasse“. Wenn es nur einem Menschen hilft, das ich hier über die Zeit mit der Krankheit geschrieben habe , dann hat dieser Text sein Ziel erfüllt. Auch wenn es nur das Wissen ist, das manche Gedanken nicht so ungewöhnlich sind, das manch kruder Gedanke einfach völlig normal ist. Manche merkwürdige/komische/schmerzhafte Erfahrung einfach Teil des Prozesses ist.
Ich habe an diesem Text auch gemerkt, das ich Zeit gebraucht habe, um das alles zu verarbeiten. Meine Konzentration kommt so langsam wieder und ich freue mich schon auf den ersten Tag zu arbeiten, weil damit endlich Normalität zurückgekehrt. Aber an manchen Tagen sind in den letzten Monaten kaum 2 Zeilen erstanden, weil einfach nur Nebel im Hirn war, in manchen anderen Nächten habe ich fast wahnhaft geschrieben. In einer durchwachten Nacht habe ich so fast 3000 Wörter geschrieben. Ein einzelner hoher Ausreisser. In dieser Version sind aber vielleicht 500 Wörter, die nach einem Lesen nach einer durchgeschlagenen Nacht bleiben durften. Der Rest wird in meinem Draftgiftschrank bleiben. Die mangelnde Konzentration liess die zweitausendfünfhundert übrigen Wörter zu einem verschwommenen, inkohärenten Wortgebilde werden, das ich keinem zumuten wollte.
Und ja, ich bin mir bewusst, das für manchen „verschwommenes, inkohärentes Wortgebilde“ auch diesen Text hinreichend gut beschreibt.
Die letzten zwei Wochen haben den Nebel gelüftet, so das ich den Text in diese Form bringen konnte, das ich ihn hier lesen mag. Ich habe ein gutes Gefühl das ich in weiteren zwei Wochen den Nebel völlig hinter mir habe. Es sieht momentan gut aus.
Eine Warnung
Ich möchte diesem Text eine Warnung voranstellen: Es dreht sich um persönliche Dinge, gesundheitliche Dinge. Es handelt sich nicht um einen Bericht über ein Leben mit Heuschnupfen, auch wenn dieses extrem belastend sein kann. Es geht stattdessen um etwas, das sich nur invasiv beseitigen liess.
Wer persönliche Dinge hier nicht lesen mag, möchte hier bitte aufhören zu lesen. Wer in der Richtung „gesundheitliche Probleme“ seelisch nicht ganz sattelfest ist und nach der Lektüre eines diesbezüglichen Textes in ein gedankliches Loch fällt, möge bitte sofort aufhören zu lesen. Wer zu Morbus Kühnemann oder Morbus Mohl neigt … bitte nicht weiterlesen. Und ja, ich weiss das die beiden Namen auch einiges über mein Alter aussagen.
Wobei … wenn auch nur eine Person von diesem Text aufgerüttelt wird, dadurch zum Doc geht und ein Ultraschall durchführen lässt, um festzustellen ob an der Stelle alles in Ordnung ist und dadurch rechtzeitig von Problemen erfährt, dann hat der Text ebenso sein Ziel erfüllt. Also … es geht nun los.
So hör auf zu lesen, wenn Du nicht sattelfest bist. 3…2…1 … Du bist gewarnt worden.
Noch etwas: Dieser Text ist im Sommer und Herbst 2025 entstanden. Manche Zeilen sind aus Vorversionen übernommen, die ich im August 2025 begonnen habe. Der Text wuchs über Monate hinweg. Das wird dem Text wahrscheinlich anzumerken sein. Es wird dem Text wahrscheinlich die Konsistenz, die Knackigkeit fehlen, die ein Text bekommt, der in kurzer Zeit in einer konzentrierten Aktion entstanden ist.
In der Frühphase habe ich diesen Blogeintrag sogar mehrfach verworfen, neu geschrieben, in der Hoffnung das daraus etwas Konsistenteres, etwas Kürzeres entsteht. Klappte nicht. Der Text wurde stets nur noch länger. Mäanderte mit der Zeit nur noch mehr. Ich habe mich dem irgendwann ergeben. Ob meine Aussagen konsistenter ist, müsst ihr entscheiden.
Ich war zu verschiedenen Zeitpunkten in der Entstehung dieses Textes in unterschiedlicher Verfassung. Die Gedanken und Gefühle reichten von Zorn, Verzweiflung bis hin zu Zuversicht, Mut und Freude. Auch das wird man dem Text vermutlich zuweilen anmerken.
Ich möchte auch anmerken, das zeitliche Referenzen in diesem Text nicht konsistent sind. Die Basis ist immer der Moment in dem ich das geschrieben habe. Ich habe sie nicht angeglichen, weil der lange Entstehungszeitraum irgendwie auch Teil dieses Berichts ist.
Und damit sei es genug des Vorwortes. Ich werde vermutlich morgen einen weiteren Teil veröffentlichen, der jenen Moment beschreibt, als Anfang August diesen Jahres alles meine Pläne über den Haufen geworfen wurden.